Biovelo_Beitrag

Essen auf Rädern mal anders

Einigen Passanten dürfte der große silberne Fahrradanhänger mit der Aufschrift „Biovelo“ vielleicht schon aufgefallen sein. Jeden Dienstag ist er in der Karlsruher West- und Innenstadt zu sehen. Sein Inhalt: Frisches, biologisches Obst und Gemüse. Auf Bestellung wird es den Kunden, im wahrsten Sinne des Wortes, direkt vor die Haustüre gefahren. Zusammen mit einer Studentengruppe aus Mannheim hat die IL-KA (Integration & Leistung Karlsruhe gGmbH) das Konzept ins Leben gerufen. Wir wollten mehr darüber erfahren und haben uns mit dem Initiator des Projekts getroffen.

Von Jan Dreher und Martin Ehrenfeuchter

„Die Idee ist ja insofern charmant und auch interessant, weil es bei dem Projekt um was Doppeltes geht.“

Sei-haltbar.de: Herr Held, Sie sind sozusagen der Erfinder von „Biovelo“. Welche Idee steckt hinter Ihrem Projekt?

Herr Held: Die Idee hinter dem Projekt ist eine Übertragung einer ursprünglichen Idee von Studenten aus Mannheim, die einen Lieferservice für Obst und Gemüse für Langzeitarbeitslose aufgebaut haben. Davon habe ich über einen Zeitungsartikel Wind bekommen, mit den Leuten Kontakt aufgenommen und dann sind wir in Austausch getreten. Der Hintergrund für die IL-KA ist der, dass wir anders als in Mannheim, nicht mit Arbeitslosen zu tun haben, sondern mit Menschen mit Handicap. Das bedeutet ich betreue, initiiere und treibe Projekte voran, die zu tun haben mit Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Handicap.

Sei-haltbar.de: Was hat sie dazu bewogen, solch ein Projekt zu starten?

Herr Held: Der Initialschuss stammte von dieser studentischen Gruppe aus Mannheim. Das ist eine spannende Geschichte. „Enactus“ heißen die. Das sind Studenten in höheren Semestern, die sich mit der Entwicklung nachhaltiger Projekte beschäftigen. Sie entwickeln diese Projekte bis zur Fertigstellung mit Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, allem was dazu gehört und suchen sich dann einen lokalen Partner aus dem sozial-wirtschaftlichen Bereich, der das übernimmt und dann in der Folge weitertreibt. Das hat mich irgendwie angesprungen.

Sei-haltbar.de: Wie viele Menschen sind insgesamt an diesem Projekt beteiligt?

Herr Held: Wir haben etwa 35 Mitspieler. Von der studentischen Gruppe über Mediendesigner und Öffentlichkeitsarbeiter bis hin zum Schweißer und Beschrifter und so weiter. Zurzeit haben wir etwa zehn Beteiligte, das heißt Aktive, die etwas tun: Buchhaltung, Logistik, Anlieferung.

Sei-haltbar.de: Die Waren, die Sie verteilen, sind Obst und Gemüse. Woher beziehen Sie diese Produkte?

Herr Held: Die Ware stammt von unserem Kooperationspartner, der Bioland Gärtnerei Schmälzle in Sinzheim bei Baden-Baden. Das, was an Produkten verteilt oder ausgefahren wird, stammt von Schmälzle, wird mit den Sprinter angeliefert und dann auf das Fahrrad umgesetzt, mit dem dann unsere Kundschaft beliefert wird. Das wird dann einmal in der Woche an die Haustüre gebracht.

Sei-haltbar.de: Warum beliefern Sie Ihre Kunden ausschließlich mit dem Fahrrad?

Herr Held: Die Idee ist ja insofern charmant und auch interessant, weil es bei dem Projekt um was Doppeltes geht. Das Eine ist die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt, das ist das primäre Anliegen der IL-KA, also eine sinnvolle, für die Leute wertvolle Tätigkeit. Das Zweite ist, wir haben es mit einem Biolandwirt zu tun, bei dem Ökologie und CO2–Geschichten mit eine Rolle spielen. Und an der Stelle kommen diese beiden Sachen zusammen. Georg Schmälzle ist ein reiner Biolandproduzent nach den EU-Kriterien und legt großen Wert darauf, dass so wenig Ressourcen wie möglich verschleudert werden. Deshalb liefern wir mit dem Fahrrad aus. So klein das Projekt im Moment auch noch ist, es ist beispielgebend für andere Modelle dieser Art. Von daher kommt das nicht von ungefähr. Es gibt aktuell den Landesinklusionspreis vom Sozialministerium Baden–Württemberg, und wir sind nominiert für diesen Preis, wegen der Qualität dieses Konzeptes.

„Wir sind nominiert für diesen Preis, wegen der Qualität dieses Konzeptes.“

Sei-haltbar.de: Gab es am Anfang irgendwelche Hindernisse, die man überwinden musste, um das Projekt in Karlsruhe zu etablieren?

Herr Held: Ja, also Hindernisse insofern, dass man zunächst einmal nur die Idee hat. Und wie es bei allen laufenden Projekten ist, wird erst mal tage- und wochenlang darüber gebrütet. Dann heißt es Strippen ziehen und Leute ansprechen ohne Ende. Ich hatte so etwa zehn bis fünfzehn sogenannte Biobetriebe im Großraum Karlsruhe, die habe ich über persönliche Ansprache, über Nachfragen, über das Internet herausgefiltert und bin dann punktgenau bei Georg Schmälzle gelandet. Er sagte: „Auf Ihren Anruf habe ich gewartet, die Idee schwebt mir schon seit zehn Jahren durch den Kopf – wir machen das!“ Und dann ist es eine Mischung aus professioneller strategischer Planung und glücklichen Zufällen. Also, man kann noch so schlau sein und möglicherweise auch die Geldmittel zur Verfügung haben, wenn da nicht eine Portion Glück dabei ist …

Sei-haltbar.de: Sie haben das Geld angesprochen. Finanziert sich das Projekt ausschließlich über den Verkauf des Obstes, oder gibt es noch weitere Einnahmen?

Herr Held: Primär über den Verkauf des Obstes. Dann ist es aber so, dass wir als gemeinnütziges Unternehmen im Bereich der Sozialwirtschaft Fördergelder aus der öffentlichen Hand bekommen. Mit ein bisschen Glück und Klinkenputzen auch Fördergelder über Stiftungen. Das bewegt sich dann in erster Linie auf der materiellen Ebene – Anschaffung von Wirtschaftsgütern, Fahrrad, Anhänger, Beschriftungskosten.

Sei-haltbar.de: Aus Sicht eines potentiellen Kunden: Was kostet mich so eine „Biokiste“?

Herr Held: Das ist unterschiedlich, das kann man über das Portal von Bioland Schmälzle erfahren. Es gibt zwischen 21 und 23 Angebote, aus denen man auswählen kann. Das hängt dann von der Geschmacksrichtung ab oder von der Größe des Haushalts. Man kann genau auswählen, was man geliefert haben möchte. Das wird dann dementsprechend gepflückt, verpackt und ausgeliefert.

Sei-haltbar.de: Herr Held, momentan beliefern Sie ihre Kunden nur einmal pro Woche. Wo sehen Sie das Projekt in fünf Jahren?

Herr Held: Wir wollen es erweitern, das ist der Anfang. Es hat sich jetzt alles stabilisiert. In fünf Jahren soll das gesamte Stadtgebiet Karlsruhe beliefert werden. Wir sind jetzt in der West- und Innenstadt. Die nächsten beiden Touren sind die Nordwest- und Südweststadt. Dann geht es weiter Richtung Dammerstock und Rüppur. Aber ein Schritt nach dem anderen.

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