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Fahrräder ohne Grenzen- einfach, aber essentiell

von Sophia Nietzschmann und Margarita Nizhegorodov

Es ist Dienstagabend. Tobias Boßmann und Tobias Fleiter stehen mit Flyern ausgerüstet vor der Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (LEA) in Karlsruhe. Ihr Ziel: Sie wollen die hier ansässigen Flüchtlinge in ihre Werkstatt einladen. Die beiden Ingenieure wissen: Wer als Flüchtling in der LEA ankommt, ist oft zunächst orientierungslos, kämpft mit Sprachbarrieren und darf nicht arbeiten. Daher haben die Hobbybastler gemeinsam mit dem Freundeskreis Asyl Karlsruhe vor zwei Jahren ein außergewöhnliches Projekt ins Leben gerufen. Mit „Bikes Without Borders“ wollen sie Flüchtlingen den Alltag erleichtern.
Die Idee dahinter ist einfach: Flüchtlinge können zusammen mit den Initiatoren alte, gespendete Fahrräder wieder in Stand bringen oder diese kostenlos leihen. Behördengänge und Einkäufe können sie dadurch leichter erledigen. Denn das wenige Taschengeld, das sie erhalten, reicht kaum für die öffentlichen Verkehrsmittel.
Durch das gemeinsame Tüfteln an den Fahrrädern werden Sprachbarrieren überwunden und man komme leichter in Kontakt, erklärt uns Fleiter.

Jeder kann helfen

Es ist mittlerweile kurz vor 18 Uhr. Die jungen Initiatoren machen sich auf den Weg zu ihrer Freilicht-Werkstatt hinter dem Karlsruher Menschenrechtszentrum. Wie jeden Dienstagabend wollen sie hier wieder kräftig anpacken. Den Standort für ihre Werkstatt haben Boßmann und Fleiter nicht zufällig gewählt. „Das Wichtigste ist die Rechtsberatung und die Beratung für die Interviews, bei denen über die Asylvergabe entschieden wird“, erklärt Fleiter. Hier, im Menschenrechtszentrum sitzt der unabhängige Verein Freundeskreis Asyl Karlsruhe. Er setzt sich für die Rechte von Flüchtlingen ein, berät und unterstützt sie. In einer gemeinschaftlichen Teestube können Hilfesuchende außerdem interkulturelle Kontakte knüpfen.

An der roten Mauer des Menschenrechtszentrums reihen sich einige Fahrräder aneinander. Auf dem Boden stehen Kartons mit Werkzeug. Die Werkstatt darf sich heute über Zuwachs freuen:ein Pärchen mit einem alten Fahrrad. Sie haben von dem Projekt gehört und möchten es gerne spenden. Stolz verweist Fleiter auf die Fahrräder. „Alles Spenden“, erklärt er uns, „Wir freuen uns immer, wenn Leute helfen wollen.“

„Ich bin ein Glücklicher“

Untypisch, aber ergreifend die Geschichte von Firoz Khan: seine Mutter und sieben Geschwister musste er in Indien verlassen. Und dennoch zählt er sich zu den „Glücklichen“, er ist glücklich in Deutschland Freiheit genießen zu können.
Untypisch, aber ergreifend die Geschichte von Firoz Khan: seine Mutter und sieben Geschwister musste er in Indien verlassen. Und dennoch zählt er sich zu den „Glücklichen“, er ist glücklich in Deutschland Freiheit genießen zu können.

Einige freiwillige Helferinnen und Helfer sind auch da. In entspannter Atmosphäre basteln sie gemeinsam mit Flüchtlingen an alten Fahrrädern.
Auch Firoz Khan ist heute wieder hier. Der Asylbewerber aus Indien ist seit knapp drei Monaten in Deutschland. Er begrüßt das Projekt „Bikes Without Borders“ und kommt gerne in die Werkstatt.
„Fahrräder sind sehr wichtig hier in Deutschland.“, erklärt uns der 28-Jährige. Durch den Fahrradverleih kann er mobil sein und sich frei bewegen. Für Firoz ist das keine Selbstverständlichkeit.

In seinem Heimatland wurden er und seine Familie politisch verfolgt. In drei Ländern suchte Firoz Schutz, bevor er nach Deutschland kam. Erst hier lernte der junge Inder wieder, was es bedeutet, sich frei bewegen zu können. „Die deutschen Behörden kümmern sich um Flüchtlinge.“, erzählt er uns. Hier fühle er sich endlich sicher.
Dass das nicht jeder Flüchtling von sich behaupten kann, weiß auch Firoz. „Ich hatte Glück.“, erklärt er. „Viele Flüchtlinge starben auf dem Meer“, erinnert er sich, „Oder wurden von Polizisten erschossen.“
Seit 2007 steigt die Zahl von Asylbewerbern in Baden-Württemberg. Die meisten Flüchtlinge kommen in der LEA Karlsruhe mit nichts weiter an, als der Kleidung, die sie tragen.
„Bikes Without Borders“ gibt ihnen ein Stück Freiheit zurück: es unterstützt sie und heißt sie willkommen.

Nachhaltig radeln

„Da geht noch was.“, sagt Fleiter. Kürzlich wurde das Projekt mit dem Ideenpreis „Im|Puls Oststadt“ ausgezeichnet. Denn hier wird Nachhaltigkeit mit Helfen verbunden. Mit dem Preisgeld von 2.000 Euro möchten die Ingenieure auf dem Gelände des Menschenrechtszentrums eine Fahrradwerkstatt errichten. Sie wird dringend gebraucht: Das Werkzeug und die Ersatzteile müssen Boßmann und Fleiter bisher bei sich zuhause lagern und wöchentlich zum gemeinsamen Schrauben mitbringen. Es ist mühsam und umständlich. Auch die Fahrräder sollen möglichst rostfrei überwintern. Die Werkstatt soll Flüchtlingen, aber auch allen Karlsruher Bürgerinnen und Bürgern offen stehen. Unterstützt werden die Ingenieure unter Anderem von KIT-Wissenschaftlern, Studierenden und freiwilligen Helferinnen und Helfern. Auch schlecht erreichbare Aufnahmestellen für Flüchtlinge wollen die Initiatoren mit ihrem Projekt künftig mobil machen.
Die beiden Ingenieure sind zuversichtlich: „Wir nehmen Fahrt auf!“, sagt Fleiter stolz.

Freiheit in der Fremde: Karlsruher machen Flüchtlinge mobil

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